Costantino Ciervo
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“BIO-TRONIC“ - 2018
Technik: synchronisierte 2-Kanal-Videoskulptur Computergesteuert, 2Raspberry Pi Vers. 2 Typ 512 MB, 2 Display 10 Zoll/7 Zoll, Alu, Stahl, Elektronik. Video: HD Farbe ca. 3 Min
Maße: 180 x 34 x 23 cm

Der Eimer der Skulptur befindet sich etwas oberhalb des Bodens und wird von einem Metallprofil gehalten, das als senkrechte Achse an der Wand befestigt ist. An der Oberkante des Profils ist ein rechteckiger Metallrahmen angebracht, in dem sich ein weiterer, etwas größerer Monitor befindet. Man schaut von unten auf diesen Bildschirm, der parallel zum Monitor unten im Eimer ausgerichtet ist. Der obere Monitor zeigt den gleichen Adler in synchronen Bewegungsabläufen, aber aus einer anderen Perspektive, nämlich in Untersicht.
In einem Zeitraum von etwa drei Minuten verliert der Adler im Flug nacheinander drei Eier, die von Plopp- , Pfeif- und Zischlauten begleitet rasch durch die Luft zum Boden herabfallen. Der Vorgang erinnert an den Abwurf einer Fliegerbombe. Jedes der Eier stürzt an den Fassaden verschiedener Hochhäuser vorbei hinab in die Gebäudeschluchten. Dabei springt, hüpft und rollt das Ei zwischen den Gebäuden von einem Punkt zum anderen, bis es noch völlig intakt auf dem Asphalt liegen bleibt.
Adler sind die größte Vogelart in der Natur. Als Raubvögel verfügen die Jäger der Lüfte über einen sehr scharfen Blick, sie sollen sogar fähig sein, direkt in die Sonne zu schauen. Sein majestätischer Flug, die Fähigkeit, in unerreichbaren Höhen zu fliegen und sich mit beeindruckender Geschwindigkeit auf Beute zu stürzen, all dies hat den Adler im Laufe der Menschheitsgeschichte zu einem Symbol für meist positive Eigenschaften wie Stärke, Heiligkeit und Weisheit gemacht. Als Greifvogel besitzt der Adler aber auch eine negative symbolische Bedeutung. Als Raubtier jagt er nicht nur bösartige Schlangen sondern auch harmlose Fische, die nach der Ikonographie des frühen Christentums ein Symbol der Stille und Friedfertigkeit sind.
Der Adler kann also im weitesten Sinne als Symbol für die Kraft der Natur angesehen werden, mit meist positiven, aber auch negativen Konnotationen. In der Videoskulptur "bio-tronic" handelt es sich bei der Figur des Adlers um keine reale Darstellung, sondern um ein Computerprodukt. Der Vogel ist vollständig durch eine 3D-Videografiksoftware erstellt und animiert worden.
In diesem Sinne könnte man im Flug des Adlers eine Metapher sehen für eine „durch Technik konstruierte Natur", also einer Art künstlicher Natur, die ausschließlich dem Wirken des Menschen ausgesetzt ist. Die Stadt an sich ist ein technisches Produkt des Menschen, da sie nicht in einer natürlichen Umgebung existiert. Die Stadt im Kunstwerk „bio-tronic“ repräsentiert symbolhaft den Prozess der Transformation der natürlichen Umwelt durch den Menschen.
Die Hinweise, die hier übermittelt werden, betreffen im Wesentlichen den Begriff des Anthropozäns, der in den 1980er Jahren von dem Biologen Eugene F. Stoermer geprägt wurde. Paul Crutzen, der im Jahr 2000 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde, schrieb mit seinem Buch „Welcome to Anthropocene“ eine wichtige Abhandlung über das „menschengemachte“ Zeitalter. Ánthropos bedeutet im Altgriechischen "Mensch" und kainós "neu". Der Fachterminus Anthropozän bezeichnet die aktuelle geologische Periode, in der dem Menschen und seinem Handeln die Hauptursachen für territoriale, strukturelle und klimatische Veränderungen zugeschrieben werden.
In dem dreiminütigen Video der Skulptur „bio-tronic“ wird gezeigt, wie der Adler dreimal ein Ei auf und in die Stadt „abwirft“. Dies könnte als eine Allegorie für den Abwurf einer Fliegerbombe interpretiert werden und wäre somit eine höchst negative und zerstörerische Anspielung.
Da es sich aber nicht um eine Bombe sondern um das Ei eines Adlers handelt, kann man aus dem Vorgang auch die Assoziation ableiten, der Vogel versucht, einen Samen als Keim des Lebens abzuwerfen. Zumal das Ei weder zerbricht noch explodiert, sondern selbst im Kontakt mit Mauern, Wänden von Gebäuden und dem Asphalt wie ein Rugbyball in Kleinformat unzerstörbar herumspringt und -rollt. Es ist nicht klar, ob ein Lebewesen dem Ei entschlüpfen wird, ob aus der Keimzelle tatsächlich Leben entsteht. Das Video gibt darüber keinen Aufschluss. Die aseptische und leblose Umgebung, die nur vom technologischen Aspekt beherrscht wird, scheint hierfür auch nicht gerade zuträglich zu sein. Selbst wenn das Ei also Leben hervorbringen sollte, welches Leben würde das dann sein?
Hier werden grundlegende Fragen aufgeworfen, nämlich danach, welche Beziehungen zwischen Wirtschaft, Technik und Leben bestehen? Und die Frage nach den ethischen Implikationen der gegenwärtig zunehmenden Intervention gewinnorientierter Technologie in die Prozesse der Reproduktion von Leben.