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Uomo sacro, 2011 *
Videoobjekt, Mixed Media, Mini-TV-Bildröhre (schwarz-weiß) ohne Gehäuse, Buch: Die heilige Schrift, Holzsockel lackiert, Mediaplayer, Videoloop (Found footage) 1 Min., 22 Sek.
Maße: 24 x 20,7 x 28,6 cm (mit Sockel)
"Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist." Die Deutung der bekannten Anfangssätze aus dem Evangelium des Johannes ist umstritten. Zumal das Original des Evangeliums in Griechisch verfasst war und der Begriff "Wort" eine Übersetzung des griech. "Logos" ist. Logos hat aber weitere Bedeutungen: Sprache, Rede, Spruch, Wort, Kunde, Lehre, Argument, Gedanke, Vernunft. Mit der Platzierung des bewegten Bildes (Video) ins Zentrum des "Buches der Bücher" wird in einer klaren symbolischen Geste das visuelle (Ab-) Bild über das geschriebene oder gesprochene Wort gestellt. Authentische Filmaufnahmen zeigen höchst dramatische Szenen eines vollkommen überladenen Flüchtlingsschiffes vor der Küste Italiens. Der Titel der Arbeit "Uomo sacro" (deutsch: heiliger Mensch) ist eine Anspielung auf Giorgio Agambens Hauptwerk "Homo sacer" (erschienen 1995, deutsche Übersetzung 2002).1
"Agamben geht aus von einer rechtlich verfassten Spaltung der Identität in ein vergesellschaftetes Wesen (bios politikós) und das bloße Leben (nuda vita). Diese Spaltung führt er auf Aristoteles' folgenreiche Unterscheidung zwischen bios und zoé in der Nikomachischen Ethik zurück; sie kennzeichne das politische Denken des Westens bis heute (Homo sacer, S. 11f.). Agamben greift in dem "Homo sacer"-Projekt dezidiert politische und staatsrechtliche Fragen auf. Ständige Bezugspunkte sind dabei die Theorien von Walter Benjamin, Carl Schmitt, Martin Heidegger, Hannah Arendt und Michel Foucault. Agamben zeichnet ein Bild der heutigen Menschen und ihrer Lebensformen in einer globalisierten Welt. Im Zentrum der jüngeren Schriften steht dabei eine Kulturgeschichte der politischen Gefangennahme im Sinne einer Einschließung sowie der Ausschließung als soziale Ausgrenzung. Die Kritik einer Tendenz, die in permanenter Intensitätssteigerung rechtsfreie Räume schafft und den Menschen auf sein "nacktes Leben" reduziert, ist das zentrale Thema des "Homo sacer"-Projektes. Als Beleg für die Entwicklung seiner Thesen dienen Agamben vor allem die nationalsozialistischen Konzentrationslager: Demnach streben die Machthaber seit der Antike nicht nur die Kontrolle der Individuen als gesellschaftliche Wesen an, sondern auch die Vereinnahmung ihres biologischen Lebens. Die Folge ist eine latente, für ständig wachsende Teile der Weltbevölkerung auch offene, staatsrechtlich erzwungene Spaltung der Existenz in Mensch und Zugehörigkeit. Wie vor ihm Benjamin, Jacob Taubes und Jacques Derrida erkennt Agamben die konsequente Ausformung im Freund-Feind-Denken Carl Schmitts. Die Figur des Homo sacer aus dem römischen Recht dient der Unterscheidung zwischen bios und zoé. Agamben geht aus von dem Doppelsinn des Worts sacer: heilig und ausgestoßen ("gebannt"), nämlich "vogelfrei". So sieht er in diesem Konzept einen Raum jenseits von Recht und Kultus, der nicht erst mit der Ausstoßung bzw. Verbannung des bloßen, des fremden und des anderen Lebens beginnt, sondern in die Geschichte der westlichen Selbsterfahrung eingeschrieben ist.
Diese Entwicklung bezeichnet Agamben in Anlehnung an Foucault als Biopolitik (Homo sacer, S. 127f.): Es entsteht ein totalitärer Zugriff auf jeden Einzelnen, wovor auch Demokratien nicht gefeit sind. Im Gegenteil: Als Antwort auf globale Fluchtbewegungen und Terror werden Grund- und Freiheitsrechte außer Kraft gesetzt. Als Beispiel dafür sieht Agamben die Flüchtlingscamps in der Europäischen Union und das US-amerikanische Gefangenenlager in der Guantánamo-Bucht auf Kuba. Der Ausnahmezustand wird zum neuen Paradigma des Regierens. Er wird in diesem Schreckensszenario neben Staat, Territorium und Nation zum vierten Element der politischen Ordnung."
(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Giorgio_Agamben)
1 Es bildete den Auftakt eines auf insgesamt vier Bände angelegten Werkes. Erschienen sind inzwischen die Bände: I: Homo sacer, II/1: Ausnahmezustand, II/2: Herrschaft und Herrlichkeit, II/3: Das Sakrament der Sprache und III: Was von Auschwitz bleibt. Vorgesehen ist Band IV: Zu Lebensform und Gebrauch; vgl.: Herrschaft und Herrlichkeit, S. 13.