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Reading Pinocchio, 2011
Kunst am Bau Projekt, Entwurf für die Schule der Nachrichtendienste, Berlin (Standort Innenhof)
Offener, zweiphasiger Kunst-am-Bau-Wettbewerb
Inhaltliches und künstlerisches Konzept
Auf dem (nicht öffentlich zugänglichen) Innenhof der Schule der Nachrichtendienste in Berlin - Bundesnachrichtendienst (BND) und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) - wird eine überlebensgroße, farbige, aus Kunststoff angefertigte Skulptur der literarischen Figur Pinocchio, sitzend mit einem Buch in der Hand, auf aneinander gereihten anthrazitfarbenen Beton-Sitzblöcken platziert.
Die überdimensionierte Figur des "Reading Pinocchio" verkehrt gewohnte Maßstäbe in ihr Gegenteil, bietet so neue Blickwinkel auf Vertrautes und regt dazu an, eingefahrene Sichtweisen auf die Wirklichkeit zu hinterfragen.
Standort im Hof
Der partiell begrünte und gepflasterte Hof wird von Studierenden und Schülern als Aufenthaltsort in Pausen und nach Unterrichtsende genutzt. Die Anordnung des Ensembles "Reading Pinocchio" erfolgt im östlichen Areal des Hofes. Somit wird das frei stehende Kunstwerk durch seine Position zum Blickfang für Nutzer des Hofes, gleich durch welchen Zugang diese den Innenhof betreten. Der Standort liegt zudem vis-à-vis zum Pausenraum im EG und den darüber liegenden Räumen der Bibliothek. Nutzer dieser beiden Einrichtungen können so die Skulptur auch aus den Innenräumen heraus durch die Fenster erblicken. Der Innenhof wird dabei auf eine überraschende Weise durch einen minimalen und zugleich sehr wirkungsvollen Eingriff unspektakulär bespielt.
Bezug zur Architektur und zum räumlichen Kontext und Materialität
Die formale Einfachheit der Sitzblöcke greift die kubische Form und die Farbtöne der Kleinteilpflasterung des Hofes auf und wird so optisch in die Raumgestaltung eingebunden. Auch der s-förmig geschwungene Verlauf der Sitzbankblöcke orientiert sich am organischen Linienverlauf der Bodenpflasterung. Das Ensemble aus Sitzbank und Figur (die sich optisch stark absetzt) akzentuiert den Innenhof und schafft einen visuellen Blickfang, der dezent und spielerisch auf die strenge Einheitlichkeit der Fassade reagiert.
Die bunte Farbigkeit der vom Künstler entworfenen Figur (rote Hose und Mütze, grüne Schuhe und hellblaues Hemd) und die spitzbübisch-brave Erscheinung des lesenden Knaben mit langer Nase bilden einen bewussten Kontrast zum einheitlichen Bild der Architektur, insbesondere der klaren Gitterstruktur der Fassade aus rot-braunen Klinkern und den gleichmäßig aneinandergereihten, dunkelgrauen, schmalen, hohen Fenstern.
Durch die Aufstellung des "Reading Pinocchio", in Kombination mit der in die Hofgestaltung integrierten Sitzbank für die Aus- und Fortzubildenden, wird der gärtnerisch gestaltete Innenhof zum Hortus conclusus (geschlossener Garten) und somit zu einer landschaftlichen Kulisse für den Protagonisten aus der weltberühmten Kindergeschichte. Der Innenhof erfährt dadurch visuell eine optische Auflockerung und das Figur-Sitzblock-Ensemble schafft geistigen Raum für individuelle gedankliche Freiheit an einem Ort, der ganz im Zeichen der strengste Geheimhaltung erfordernden konspirativen Aus- und Fortbildung der Nachrichtendienste als verdeckt operierender Behörde steht.
Motiv Pinocchio-Figur
Die Arbeit "Reading Pinocchio" ist humorvoll und subtil, der Titel kann doppeldeutig verstanden werden: Zum einen benennt er schlichtweg das Motiv, der lesende Pinocchio, zum anderen beinhaltet er die Aufforderung, die Geschichte von Pinocchio zu lesen. Ende des 18. Jahrhunderts schrieb der Florentiner Carlo Collodi die Geschichte vom "Abenteuer des Pinocchio", einer kleinen eigenwilligen Holzfigur, die nach einer Reihe von Abenteuern zum richtigen Jungen wird. Auch wenn die Knabenfigur typischerweise mit langer Nase dargestellt wird als Folge von Pinocchios Schwindeleien, geht es im Kern der Geschichte um den Prozess der Verwandlung.
Pinocchio - selbst ein Schüler - fungiert als Identifikationsfigur für die Studierenden und Auszubildenden. Er zeigt, dass Frechheit manchmal siegt, Dummheit hin und wieder zu spannenden Abenteuern führen kann und dass auch Unvernunft zum Leben dazu gehört. Seine Verwandlung von der Holzmarionette zum echten Menschen zeigt, dass der Homo sapiens (einsichtfähiger/weiser Mensch) die Kraft zur Veränderung in sich selbst trägt.
Pinocchio vereint und hinterfragt damit in einzigartiger Weise "das Gute" (kindliche Unschuld, Neugierde, Mut, die Liebe zu seinem "Vater") und "das Böse" (Unfolgsamkeit, betrügerische Verschlagenheit, Waghalsigkeit). Er erlebt Abenteuer, riskiert mit seinen Schwindeleien und Streichen Kopf und Kragen, lernt aus seinen Fehlern und zeigt auf, wie sehr Gegensätze unser Leben bestimmen und dass jede Entscheidung bestimmte Konsequenzen in sich trägt. Die Figur des Pinocchio wird somit zu einem Symbol für die Grundwerte Humanität, Kreativität, Eigeninitiative und Verantwortung.
Maße Figur:
190 (H) x 53 (B) x 60 (T) cm
Sitzblock-Bogensegment:
Gesamtlänge: ca. 9 Meter
Breite: jeweils 40 cm
Höhe: jeweils 60 cm